Ein scheinbar unmöglicher Fund: Geologen haben Anomalien im Erdmantel entdeckt, die wie untergetauchte tektonische Platten aussehen, aber unmöglich welche sein können, da sie fernab jeglicher Plattengrenzen liegen. Eine der größten Anomalien liegt zum Beispiel in 900 bis 1.200 Kilometer Tiefe unter dem westlichen Pazifik. Doch befinden sich dort wirklich „unmögliche“ versunkene Welten? Bislang kann das Forschungsteam nur spekulieren.
Die tektonischen Platten unseres Planeten sind ständig in Bewegung. Durch Konvektionsströme im äußeren Erdmantel driften sie voneinander weg, aufeinander zu, stoßen zusammen oder reiben aneinander. Um zu sehen, was genau sich gerade unter unseren Füßen abspielt, ermitteln Geologen mit Seismografen die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Erdbebenwellen. Daraus lässt sich die innere Struktur der Erde ableiten – ähnlich wie Ultraschall einen Blick ins Körperinnere ermöglicht.
Forschende um Thomas Schouten von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich haben die Struktur des Erdinneren nun erstmals mit einem neuen hochauflösenden Verfahren gescannt. Anders als frühere Messtechniken macht sich die sogenannte Full Waveform Inversion nicht nur einen Typ von Erdbebenwellen zu Nutze, sondern alle Arten von seismischen Wellen. Um die enormen Datenmengen zu analysieren, verwendeten Schouten und seine Kollegen einen Supercomputer.
Neuer Blick ins Erdinnere sorgt für Überraschungen
Ihr neues Modell offenbarte den Forschenden Bereiche im Erdinneren, die wie Reste von untergetauchten Platten aussehen. Eine der größten dieser Regionen liegt in 900 bis 1.200 Kilometer Tiefe unter dem westlichen Pazifik. Eine Reihe kleinerer, vertikal orientierter Gebiete wurde in ähnlicher Tiefe westlich von Südamerika aufgespürt.
Damit liegen diese vermeintlichen untergetauchten Platten allerdings an Orten, an denen sie gängiger Lehrmeinung zufolge eigentlich gar nicht liegen dürften – unter großen Ozeanen und im Inneren von Kontinenten. Sie sind somit viel zu weit von den bekannten Plattengrenzen entfernt, als dass dort in der jüngeren geologischen Vergangenheit tektonische Platten unter anderen hätten untertauchen können. Handelt es sich bei ihnen also um etwas komplett anderes oder tatsächlich um mysteriöse versunkene Welten?
Viele offene Fragen
Eine klare Antwort gibt es auf diese Frage noch nicht. „Mit dem neuen hochaufgelösten Modell sehen wir zwar überall im Erdmantel solche Anomalien. Was sie genau sind und was für Material die von uns aufgedeckten Muster erzeugt, wissen wir nicht“, erklärt Schouten. Es sei wie bei einem Arzt, der jahrzehntelang mit Ultraschall den Blutkreislauf untersucht hat.
„Gibt man ihm jedoch ein neues, besseres Untersuchungsinstrument, sieht er plötzlich in der Pobacke eine Arterie, die da eigentlich nicht hingehört. Genauso geht es uns mit den neuen Erkenntnissen“, erklärt Seniorautor Andreas Fichtner von der ETH Zürich. Er und seine Kollegen können daher nur spekulieren, worum es sich bei ihrem Fund handelt.
Ein Relikt der Vergangenheit?
In Frage kommen aktuell verschiedene Erklärungen. Zum Beispiel könnte es sich bei den Anomalien nicht um Subduktionszonen der jüngeren geologischen Vergangenheit handeln, sondern um deutlich ältere Relikte. „Es könnte entweder sehr altes, silikatreiches Material sein, das seit der Entstehung des Erdmantels vor vier Milliarden Jahre dort ist und trotz der Konvektionsbewegungen im Mantel überlebt hat. Oder es könnten Zonen sein, wo sich als Folge dieser Mantelbewegungen eisenreiches Gestein über Milliarden von Jahren anreichert“, erklärt Schouten.
Solche Anreicherungen können zum Beispiel entstehen, wenn sich die hochdichte ozeanische Kruste von der subduzierten ozeanischen Lithosphäre trennt, insbesondere in der Mantelübergangszone. Mit Basalt angereicherte Mantelgesteine weisen im Allgemeinen höhere seismische Wellengeschwindigkeiten auf und können daher in den Daten wie abgetauchte Platten aussehen, obwohl es keine sind.
Weitere Forschung nötig
Um dem Rätsel auf die Spur zu kommen, braucht es Schouten zufolge mehr Forschung mit noch besseren Modellen. „Die Wellen, die wir für das Modell nutzen, bilden im Wesentlichen nur eine Eigenschaft ab, nämlich die Geschwindigkeit, mit der sie durch das Erdinnere rasen“, sagt Schouten. Das werde dem komplexen Inneren der Erde jedoch nicht gerecht.
„Wir müssen die unterschiedlichen Materialparameter berechnen, die die beobachteten Wellengeschwindigkeiten der verschiedenen Wellentypen hervorbringen könnte. Im Wesentlichen müssen wir uns intensiv mit den Materialeigenschaften befassen, die hinter der Wellengeschwindigkeit stecken“, erklärt der Sedimentologe. (Scientific Reports, 2024; doi: 10.1038/s41598-024-77399-2)
Quelle: Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich)